Im Interview mit dem christlichen Magazin „pro“ spricht Thomas Schirrmacher über die Gefahr von Pornografie und die ausufernde Sexualisierung.

Sexsucht und Pornografiesucht werden tabuisiert. Man tabuisiert die Folgen, die es für die Entwicklung von Kindern hat, wenn sie im Alter von zehn bis zwölf Jahren in Filmen und Bildern gemeinsam Dinge sehen, die andere nicht einmal zu denken wagen. Man tabuisiert, dass die Botschaft der Verfügbarkeit der Frau alle Erfolge der Gleichberechtigung zunichte macht.

Tabu ist auch, darüber zu sprechen, wieviele Scheidungen auf Pornografie und Sexsucht oder durch sie ausgelöste Seitensprünge zurückgehen. Massenhafte Pornografie reduziert nachweislich den Wunsch auf langfristige Beziehungen – und außerdem den Kinderwunsch. Aber es ist tabu, darüber zu sprechen, welche Rolle die sexuelle Verwahrlosung dabei spielt.

pro: Pornografie ist an erster Stelle Kommerz. Wie viel Geld wird pro Tag mit Pornografie umgesetzt?

Schirrmacher:
Mit Pornografie wird nach recht zuverlässigen Schätzungen derzeit jährlich weltweit rund 43 Milliarden Euro legal umgesetzt, für den Schwarzhandel etwa mit Kinderpornografie dagegen gibt es nur Vermutungen. Daran ist das Internet erst mit fünf Prozent beteiligt, weswegen hier auch so aggressiv Werbung betrieben wird und der eigentliche Boom noch vor uns liegt.

pro: Viele Menschen finden nichts dabei, sich regelmäßig Pornos anzusehen. Welche Auswirkungen kann der Konsum von Pornografie auf das Zusammenleben von Männern und Frauen haben?

Schirrmacher: Die sexuelle Gleichberechtigung und das Denken von der Befriedigung des anderen her macht Pornografie zunichte, denn hier geht es immer um meine eigene Befriedigung, entweder weil ich sowieso allein bin oder weil der Partner meine Vorgaben zu erfüllen hat und das immer, wenn ich es will. Das Ergebnis haben viele Studien bewiesen: Die Klagen insbesondere von Frauen, dass Männer sie zwingen wollen, Dinge genau so zu tun, wie sie im Pornofilm gezeigt werden, nehmen zu. Vergewaltigungen in der Ehe nehmen zu – obwohl inzwischen glücklicherweise strafbar.

pro: Männliche Jugendliche interessieren sich spätestens in der Pubertät für Sexualität – leider zunehmend auch für Pornografie. Ist das eine normale Erscheinung, die zum Erwachsenwerden dazugehört?

Schirrmacher: Das Interesse für Sexualität ist normal. Das Interesse, wie man mit weiblichen Menschen umgeht, ist normal. Der Raum zur Diskussion über alle Aspekte von Liebe, Partnerschaftsbeziehung muss gegeben sein. Unnormal ist, dass die Beziehungen zu Mädchen und Frauen auf den sexuellen Aspekt reduziert wird und über die Stimulierung sexueller Erregung alles andere, was lebenswert ist, in den Hintergrund gerät. Wer einmal zugehört hat, wenn heute Jugendliche mit Pornos auf ihren Handys über Frauen reden und womit sie prahlen, dem kann nur schlecht werden.

pro: Teenager kommen immer früher mit Pornografie in Berührung. Sind junge Erwachsene, bei denen Pornografie ein Teil der Freizeitbeschäftigung ist, überhaupt noch fähig, eine Partnerschaft mit Liebe, Zärtlichkeit und „normalem“ Sexualleben zu führen?

Schirrmacher: Die Pornografie in Zeitschriften, Internet und Film ist – das wird gerne verschwiegen – das Hauptwerkzeug der Aufklärung für Kinder geworden, die oft schon am Ende des Grundschulalters damit in Berührung kommen. Dabei wird jedoch ein schreckliches Bild von Sexualität vermittelt, das die eigene und sofortige Befriedigung zum obersten Maßstab macht, vorwiegend Frauen, auf jeden Fall den Partner, zum Erfüllungsgehilfen degradiert und über das Biologische hinaus nicht viel zu vermitteln hat.

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